So langsam sind die großen Mehrbettzimmer am Aussterben und das ist auch gut so! Es ist wirklich furchtbar unangenehm während einer ernsthaften Erkrankung die eine Krankenhausbehandlung nötig macht, in einem Raum mit einigen wildfremden, ebenfalls kranken Menschen untergebracht zu sein.
Von Wahrung der Intimsphäre kann hier nicht die Rede sein. Korrekte Handhabung aller hygienischen Maßnahmen ist in solchen Fällen auch mehr als fraglich. Ohne Toilette im Zimmer und zwei Waschbecken an der Wand mit einem Vorhang, der alles andere als nicht kontaminiert ist, werden dem Patienten keine Standards geboten, die für seinen Gesundheitszustand dringend nötig wären. Die menschlichen Konstellationen der großen Zimmer sind manchmal schon sehr interessant.
Egal ob jung, alt, welche Herkunft, Lebenseinstellung, Charakter und leider oftmals Schweregrad der Erkrankung, es ergeben sich teilweise die wildesten Belegungen. Das daraus nicht selten Probleme oder sogar Auseinandersetzungen im zwischenmenschlichem aber auch organisatorischem Bereich resultieren, ist wohl klar. Alle Menschen sind verschieden und passen nicht immer zueinander, im Krankheitszustand ist die Sensibilität diesbezüglich oft zu Recht noch ausgeprägter als sonst. Das Risiko, dass die Situation eskaliert, hat man natürlich in einem 2-Bett-Zimmer auch, aber die Gefahr ist deutlich geringer, da es da normalerweise auf jeden Fall ruhiger zugeht.
Manchmal, wenn man es rechtzeitig merkt, kann man als Pflegepersonal potenzielle Streithähne räumlich trennen, natürlich aber nur, wenn es die Belegungssituation erlaubt. Teilweise kann man es jedoch nicht vermeiden, dass Patienten aufgrund ihrer Bettnachbarn tachykard werden oder sogar auf eigene Verantwortung vorzeitig nach Hause wollen.
Während der eine beispielsweise mehrmals täglich Besuch empfängt, braucht der andere viel Ruhe.
Es kam schon manchmal vor, dass ein Patient eine präoperative orthograde Darmspülung mit allen Konsequenzen über sich ergehen lassen musste, während der Bettnachbar frisch operiert und schmerzgeplagt in seinem Bett lag und der Patient gegenüber mit den Tränen zu kämpfen hatte, weil er von einer unerfreulichen Diagnose erfuhr. Das sind wirklich schwierige Situationen. Ganz schön heftig ist es auch, wenn in einem großen Zimmer bei einem der Patienten durch einen intraopertiven Routine-Abstrich nach einigen Tagen ein MRSA bekannt gegeben wird. Das ist wirklich für die Patienten aber auch das Pflegepersonal Stress pur. Man muss schleunigst ein kleines Zimmer für den MRSA-Pat. organisieren und die anderen Mitpatienten auf Verdacht schleusen. Hört sich jetzt einfacher an als es tatsächlich ist. Vier Patienten in einem Raum ohne Toilette und das manchmal sogar zwei bis drei Tage bis zum erhofften negativen Abstirchergebnissen. Es ist alles andere als einfach diese Patienten bei Laune zu halten.
Auch Notfallsituationen sind extrem belastend für die Mitpatienten. Für die Genesung ist eine Reanimation im 5-Bett-Zimmer nicht besonders förderlich. Es ist wirklich ein unbeschreiblicher Zustand, den gesamten Ablauf mitzubekommen oder schlimmstenfalls sogar seinen Bettnachbar sterben zu sehen. Das kann Menschen, die im „normalen“ Leben nichts mit dieser Materie zu tun haben, in ein ganz tiefes Loch ziehen. Wenn man nachts als Nachtschwester alleine auf Station ist, ist es unmöglich alle Patienten in solcher Situation, in der jede Sekunde zählt, aus dem Zimmer zu schieben. Man kann höchstens die gehfähigen Kranken auf den Gang schicken und selbst dann sitzt der Schock oftmals sehr tief und lässt viele Ängste aufkommen.
Ich hatte einige Jahre das „Vergnügen“ auf einer Station mit u.a. drei 5-Bett-Zimmern zu arbeiten. Es war jeden Tag ein Kampf bis man die Belegung der Zimmer so ordnete, dass alle zufrieden waren und dann auch noch septische und aseptische Patienten getrennt wurden. An manchen Tagen waren es tatsächlich organisatorische Höchstleistungen und trotzdem ließen sich viele Streitereien nicht vermeiden.
Die meisten Emotionen kamen häufig abends, wenn die einzelnen Patienten den Tag mit all den dazugehörigen Untersuchungen, aufklärenden Gesprächen und anderen „Erlebnissen“ Revue passieren ließen, hoch. Also genau dann, wenn die Nachtschwester zum Dienst kommt und ihre erste Runde dreht.
Es ist wirklich erstaunlich, dass die Ausslöser für lange Diskussionen unter den Patienten oft die gleichen waren. Ein beliebtes Thema war z.B. das Fenster. Damit kann man wirklich unglaublich viel anfangen; einen Flügel, zwei, komplett öffnen oder vielleicht doch nur das Oberlicht kippen. Fünf Patienten, fünf Meinungen und als Nachtschwester steht man dann da und soll unparteiisch entscheiden welche die richtige Lösung für alle Patienten ist. Das war ganz toll! Nach dem Fenster waren dann meistens die Vorhänge und das Licht dran. Durch solche Aktionen wurde der Rundgang manchmal ganz schön in die Länge gezogen.
Interessant waren auch manchmal Fragen, die Patienten, wenn es auf den Krankenhausfluren ruhiger wurde, stellten. Sie wollten z.B. wissen wie de Dr. XY denn so als Operateur sei oder ob die Sr. A schon verheiratet ist.
Viele onkologische Patienten öffneten sich oft und zeigten gerade abends viel Gesprächsbereitschaft. Keine angenehme Situation im 5-Bett-Zimmer. Außerdem habe ich mir in solchen Momenten immer gewünscht, dass wenigstens noch eine Kollegin oder Kollege da wäre, damit man besonders für diese Patienten genügend Zeit hätte ein vernünftiges Gespräch zu führen.
Es kam natürlich auch ab und zu vor, dass sich alle fünf Patienten hervorragend verstanden und aus dem Krankenhausaufenthalt sogar langjährige Bekanntschaften oder Brieffreundschaften entstanden sind.
Ich trauere der 5-Bett-Zimmer-Ära , in der ich auch des öfteren als Nachtschwester Fenster auf und wieder zu gemacht habe ;-), nicht nach. Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation befinden, krank und psychisch angeschlagen sind, brauchen viel Ruhe sowie Erholung und das ist nur in Zwei-Bett- oder Einzelzimmer gewährleistet. Manchmal frage ich mich ernsthaft wie es denn ganz früher war, als die gesamte Stationsbelegung in einem Saal untergebracht war.
Fürchterlich.
Bei richtiger Belegung werden diese Zimmer dann zu „Rosenzimmern“ (vergl. House of God).
Wenn da dann fünf demente in einem solchen Zimmer geparkt (anders kann man es eigentlich leider nicht nennen) sind und jeder ein anderes Geräusch macht (1: Aua–Aua! 2: Hilfe! Hilfe! 3:Gnaaaah! 4:Schwester!–Schwester! 5:Huuuh!) muss man schon aufpassen, daß man selber nicht Wahnsinnig wird, wenn man sich länger in dem Zimmer aufhält.
Das mit dem Fenster auf/zu/kipp hast Du wunderschön beschrieben.
Mir ist das letzte Fünfbettzimmer (bzw. Mehr-Als-Zweibettzimmer) als Zivi begegnet, das Krankenhaus wurde aber inzwischen Grunderneuert und bietet jetzt nur noch max. 2er-Zimmer.
Kann man nur hoffen, das das bald überall Standard wird, Patienten und Personal dürfte es freuen….
Oh ja, die dementen Patienten im 5-Bett-Zimmer 🙂
Hab sie hier nicht erwähnt, weil sie glatt einen gesonderten Artikel verdienen.
Die Belegung eines 5-Bett-Zi., die ich nie vergessen werde, waren 5 alte Damen zwischen 85 und 97 Jahren, die uns alle von anderen Abteilungen od. Altenheimen mit heftiger Koprostase zuverlegt wurden. Das ist wirklich kein Scherz. Diese Pat., waren alle völlig verwirrt, hatten eine Elektrolytverschiebung, waren bettflüchtig + Zustand nach Hebe-Senk-Einlauf. Den Rest könnt ihr euch denken; es war herrlich!
Der Umgang mit den Alten lässt tiefe Rückschlüsse auf eine Gesellschaft zu. Ich kann nur hoffen, dass hier in den nächsten Jahren ein Umdenken stattfindet.